Die Tür zu einer neuen Welt ist geöffnet
Freie intuitive Improvisation gibt es schon immer in der Geschichte der Menschheit. Kinder tänzeln singend über die Wiese, wir stehen singend unter der Dusche, Klaviere laden zum Ausprobieren ein, welche Töne wir mit den Fingern erzeugen können….oder vielleicht mit dem ganzen Unterarm?
Die Holzbläserabteilung hatte im Rahmen ihres Winds Festivals am 11. und 12. Januar 2025 die Fagottistin und Doktorin für freie intuitive Improvisation von der Musikuniversität Wien Frau Dr. Maria Gstättner zu einem gemeinsamen Workshop mit einem bahnbrechenden Freeplay Abschlusskonzert zu Gast.
Was in der Jazzabteilung Gang und Gäbe ist, stellt für uns klassisch ausgebildeten Musiker:innen eine unglaublich große Hemmschwelle dar. Etwas zu spielen, was nicht in Noten geschrieben steht, sondern allein in diesem Moment in einem steckt und nach draußen in Welt möchte, ist nicht nur ungewöhnlich, sondern ruft Scham und sogar Angst hervor.
Daher ist meine Bewunderung für unsere 16 Studierenden der Holzbläserklassen, die sich auf das Wagnis eingelassen haben, ein Konzert ohne Noten zu entwickeln, groß!
Es braucht Mut und Offenheit, Entdeckerfreude und sehr gute instrumentale Fähigkeiten, um sich alleine mit seinem Instrument auszudrücken.
Dr. Maria Gstättner hat das einfühlsam äußerst kompetent und sehr strukturiert angeleitet.
Zuerst stellte sich jede/r musikalisch vor, nahm Kontakt dem/der nächsten Freeplayer auf und gab so den Staffelstab der Visitenkarten durch die ganze Gruppe. Dann wurden alle technischen Möglichkeiten auf jedem Instrument ausprobiert und die verschiedenen Effekte zusammengetragen. Nächste Aufgabe war eine Improvisation zu dritt - immer in wechselnder Reihenfolge: Solo, Duo, Trio. Jede/r wechselte seine Position, spielte Ideen gebend, begleitend, kontrastierend. Gemeinsam musste erspürt werden, was das Gegenüber spielt, welche Entwicklung das Spiel der Anderen nimmt und wann das Stück zu Ende ist. Eine unglaublich gute Hörschulung! Aber auch sehr anstrengend!
Es folgte personenzentrierte Improvisation, bei der jemand sich ein Bild in Klängen wünscht, was die Gruppe für den Menschen umsetzt und es folgte eine Orchesterimprovisation und Leitung einer/s Dirigent:in. Aus diesen einzelnen Elementen entwickelte die Gruppe ihr Konzert für den nächsten Vormittag.
Am nächsten Morgen trafen sich alle im Roten Saal zur Generalprobe und probten Anfänge, Auf- und Abtritte und nahmen akustisch mit dem Raum und fühlend miteinander Kontakt auf. Fürs Konzert nahmen die Studierenden ihre Spielposition rund um den Publikumsbereich ein, wechselten auf die Bühne schreitend in kleine Gruppen, spielten sich gruppenweise durch den Saal zu und stellten sich als Künstlerpersönlichkeiten vor.
Am spannendsten war die personenzentrierte freie Improvisation, bei der sich drei Menschen aus dem Publikum die klangliche Umsetzung eines Bildes, einer Stimmung, einer Situation wünschen durften. Ein Winterspaziergang bei klarer kalter Luft, Eiskristallen, einem glücklichen Lebensgefühl bei Sonnenschein war gewünscht und wurde dann durch die um das Publikum stehenden Bläser:innen in bezaubernde malende Klänge verwandelt und dem Menschen geschenkt. Auch einen Wintersturm hatten wir plötzlich im Saal. Das hat das Publikum nachhaltig beeindruckt.
Die lockere Atmosphäre war gut, die ZuhörerInnen ließen sich ganz leicht mitnehmen, waren überrascht, was man alles ohne Noten zaubern kann und die Studierenden waren erleichtert und stolz, dass sie ihre erste Hemmschwelle überwunden und sich auf das Wagnis eingelassen hatten.
Der Bogen von der persönlichen klingenden Visitenkarte eines jeden über phänomenale Soloimprovisationen der großen Meisterin Maria Gstättner, die Einbeziehung des Publikums in die Programmgestaltung hin zum großen ‚Orchesterfinale war erfüllt von unterschiedlichsten Klängen, musikalischen Bildern und Gesprächen und hat die begeisterten Menschen im Saal an ihren eigenen musikalischen Ursprung geführt. Denn was ist schöner als frei singend und improvisierend durchs Leben zu gehen?
Ein großer Dank geht an Dr. Maria Gestättner für ihre einfühlsame und kompetente Begleitung der Studierenden, die mutig und entdeckungsfreudig neue Entwicklungsräume durchschritten haben.
Ein toller Workshop - ein tolles Konzert! Dankeschön an alle Mitwirkenden und unser tolles offenes Publikum!
Bericht: Prof. Daniela Tessmann